Autor: Alexander Saller

Seit vielen Jahren machen Sie sich mit herausragendem persönlichen Einsatz für den EU-Beitritt der Republik Kroatien stark. In diesem Jahr wird dieser nun Wirklichkeit. Mit welchen Gefühlen blicken Sie dem 1. Juli entgegen?

Die kroatische EU-Mitgliedschaft bedeutet für mich die Erfüllung eines jahrzehntelangen Traumes. Die kroatische Fahne, die lange nur bei Exilveranstaltungen und bei unseren Kongressen der Paneuropa-Union zu sehen, in ihrer Heimat aber verboten war, weht jetzt nicht nur dort, sondern auch vor dem Europaparlament.

Im Straßburger Plenum wird nun künftig auch Kroatisch gesprochen, durch gewählte Abgeordnete, die die Interessen ihres Landes mit seiner alten europäischen Kultur vertreten. Vor allem aber genießt Kroatien, das so lange unterdrückt wurde und vor 22 Jahren unter einem schrecklichen Angriffskrieg leiden mußte, künftig europäischen Schutz, europäischen Frieden und europäische Sicherheit, die für Deutsche und Franzosen schon seit Jahrzehnten viel zu selbstverständlich geworden sind. Deshalb brauchen wir die Kroaten als Mahner, das Erreichte immer wieder zu verteidigen und zu erneuern, aber auch die Europäische Einigung weiter voranzutreiben.

Wenn man Ihre politische Arbeit betrachtet, wird deutlich, dass Kroatien ein besonderes Herzensthema für Sie ist, mit dem Sie sich nicht erst intensiv befassen, seit Sie zuständiger EVP-Berichterstatter (Schattenberichterstatter) sind. Wo liegen die Wurzeln Ihrer Leidenschaft in der Sache?

Meine Mutter stammt aus Graz, mit Wurzeln in der heute slowenischen Untersteiermark. Schon in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts fuhr sie von dort als Kind nach Zagreb auf den großen Wochenmarkt, um Kulen und geräucherten Käse zu kaufen. Mit diesen Erzählungen bin ich aufgewachsen, aber auch mit vielen exilkroatischen Freunden und einer intensiven Lektüre der deutschsprachigen Zeitschrift ‘Kroatische Berichte’, die Ivona Dončevič herausgebracht hat, eine Kroatin, die heute noch hochbetagt in Deutschland lebt und zu den entscheidendsten Vorkämpfern des Weges Kroatiens aus dem kommunistischen Gefängnis in die Europäische Union gehört.

Am Referendum über den Beitritt im vergangenen Jahr nahmen nur 43,6 % der Abstimmungsberechtigten teil. Schließlich kam eine Mehrheit von rund 66 % für den Beitritt zustande. Es ist unzweifelhaft, dass größere Teile der kroatischen Bevölkerung der EU-Mitgliedschaft ablehnend oder zumindest skeptisch gegenüberstehen und bei vielen Befürwortern des Beitritts ist keine Euphorie spürbar. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?


Ich habe die entscheidenden Jahre von 1990 bis 1992 zu einem großen Teil in Kroatien verbracht. Damals hätte sicherlich jeder Kroate alles für einen EU-Beitritt gegeben. Heute herrscht der Alltag vor – mit typisch mitteleuropäischer Lust am Kritisieren, wobei man letztlich doch froh ist, dazuzugehören und dies im Ernstfall auch so ausdrücken würde. Gott sei Dank steht der Ernstfall momentan nicht vor der Haustür, aber so etwas kann sich, wie gerade die Kroaten wissen, rasch ändern. Hinzu kommt die Verärgerung über jene, die Kroatien in den letzten Jahren ausgesprochen unfair behandelt haben.

Glauben Sie, dass sich das Meinungsbild im Land in der nächsten Zeit verändern wird?

Meinungsbilder verändern sich ständig, denn sie hängen von Stimmungen ab. Wichtig ist, daß die Kroaten wissen, daß sowohl die Erweiterung als auch die politische Einigung der EU mit dem kroatischen Beitritt noch längst nicht abgeschlossen sind und daß die Kroaten sich jetzt aktiv in die Entscheidungen über die Zukunft Europas einbringen können und müssen. Die Europäische Union, das sind jetzt nicht mehr „die“, sondern das sind ‘wir’.

Der Weg in die EU war kein leichter Weg: Sie beklagten wiederholt, dass die Kroaten ‘eine künstliche Hürde nach der anderen’ überwinden mussten. Immer wieder zeigte sich hinter der Blockade-Politik gewisser Kreise, gegen die Sie sich immer sehr deutlich wandten, ein regelrechter ‘antikroatischer Affekt’. Wie ist dieser zu erklären?


Es gibt historische Vorurteile gegen die Kroaten, die reichen zurück bis zum Dreißigjährigen Krieg. Andere haben ihre Wurzeln im Ersten und im Zweiten Weltkrieg. Viele Linke nehmen den Kroaten übel, daß sie angeblich das von ihnen für ein sozialistisches Paradies gehaltene Jugoslawien zerstört haben – das waren aber eigentlich die Milošević-Serben.

Außerdem konnte von einem Paradies keine Rede sein. Skandalös war für mich vor allem die Blockade durch den niederländischen EU-Kommissar Hans van den Broek in den neunziger Jahren, das anti-kroatische Agieren gewisser britischer Kreise, die jahrelange Bremserrolle von Slowenien, hinter dem sich andere versteckten, und schließlich das unehrliche Spiel von Frau del Ponte, die der kroatischen Regierung vorwarf, General Gotovina zu verstecken, um dann auf meine Frage im Außenpolitischen Ausschuß des Europaparlamentes zugeben zu müssen, daß keine von ihren Behauptungen wahr war.

Das Europaparlament, und daran haben wir intensiv mitgewirkt, stand ebenso wie Bayern stets auf der Seite Kroatiens. Das galt im Prinzip auch für die deutsche Politik, wobei mich ärgert, daß Deutschland wegen einiger Bedenkenträger im Bundestag als letztes Land den Beitrittsvertrag ratifiziert hat.

Im vergangenen Jahr und Anfang diesen Jahres waren verschiedentlich deutsche Stimmen zu vernehmen, die den Beitrittstermin infrage stellten. Unlängst meldete sich Bundestagspräsident Norbert Lammert erneut zu Wort und äußerte, er halte zwar den Beitritt zum 1. Juli für vertretbar, teile aber ‘die Einschätzung ausdrücklich nicht, dass alle Voraussetzungen schon erfüllt sind.’ Was ist aus Ihrer Sicht dazu zu sagen?


Solche Stimmen hängen mit der Enttäuschung über die Entwicklung Rumäniens und Bulgariens nach deren Aufnahme zusammen. Diese Kollegen kennen die Verhältnisse in Kroatien nicht und haken es unter dem Stichwort ‘Balkan’ ab. Außerdem greift generell eine Erweiterungsfeindlichkeit um sich.

Welches Signal geht von Kroatiens Beitritt an die ‘ex-jugoslawischen’ Nachbarstaaten des Landes aus und welche Rolle sollte Kroatien spielen, was ihren Weg zur EU-Mitgliedschaft angeht?


Kroatien hat eine doppelte Funktion: Es kann seine Erfahrungen mit dem Beitrittsprozeß seinen Nachbarn von Bosnien-Herzegowina bis Mazedonien vermitteln und gleichzeitig seine große Kenntnis dieses Raumes in die EU-Institutionen einbringen, an denen es jetzt voll gleichberechtigt mitwirkt. Ich sehe in Kroatien die Vorhut aller südosteuropäischen Staaten, die ohne Ausnahme eines Tages Mitglied der EU werden sollen. Der damalige Premierminister Ivo Sanader hat es im Europaparlament so ausgedrückt: Europa kann auf die Dauer kein schwarzes Loch in seiner Mitte gebrauchen.

Seit vergangenem Jahr besitzt die Republik Serbien den Status des Beitrittskandidaten. Die Verhandlungen mit Belgrad gestalten sich bekanntermaßen nicht einfach – nicht nur, was den Kosovo angeht. Worauf wird es im weiteren Verlauf des Beitrittsprozesses besonders ankommen?

Auf drei maßgebliche Punkte: Serbien muß Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weiterentwickeln, seine Minderheiten und Volksgruppen, vor allem in der Vojvodina, im Sandžak von Novi Pazar und im Preševo-Tal, schützen sowie seine Beziehungen zu den Nachbarn verbessern, allen voran die zur Republik Kosovo.

Die europäische Perspektive von Bosnien und der Herzegowina wird in der internationalen Öffentlichkeit derzeit eher wenig diskutiert. Welche Herausforderungen sehen Sie hier? Vielen erscheint die politische Konzeption des Dayton-Vertrages kaum zukunftsfähig. Besteht hier eine Notwendigkeit, neue Strukturen zu schaffen?

Ja. Die aufgezwungenen Strukturen des Dayton-Vertrages haben zwar geholfen, den Krieg zu beenden, aber keine dauerhafte Friedensordnung geschaffen. Bosnien-Herzegowina wird nur überleben, wenn es eine gleichberechtigte Föderation dreier Völker, kombiniert mit Minderheitenschutz und einer starken Bürgergesellschaft, wird.

Dies läßt sich nur erreichen, wenn von den Gemeinden her und durch politische Bildung der Jugend neue Führungsschichten nachwachsen, die das alte Denken überwinden und Eigeninitiative entwickeln, die die Bosnier weder unter der jugoslawischen Herrschaft noch in den Jahren seit Dayton entfalten durften. Bosnien-Herzegowina braucht Hilfe von außen und einen echten Willen zur Erneuerung von innen her, sonst wird es scheitern.

Der EU-Beitritt Kroatiens eröffnet die Chance, daß künftig nicht alles über den Wasserkopf Sarajewo geht, sondern die Regionen sich grenzüberschreitend entwickeln, etwa in der Posavina, in der Region von Banja Luka, wo Bischof Komarica eine zentrale Rolle spielt, oder in der Gegend von Neum.

Welche Akzente erhoffen Sie sich vom neuen Mitgliedsstaat Kroatien innerhalb der Europäischen Union? Was ergibt sich hier aus dem kulturellen Charakter des Landes?

Kroatien ist christlich und weltoffen, traditionsbewußt und innovativ, mitteleuropäisch und mediterran. Es kann daher eine der positivsten Kräfte in der EU von morgen sein.


Datum objave: 04.07.2014.